Einstürzende Windräder oder: Warum der TÜV nicht für die Prüfung aller Windräder zuständig ist.

Guten Tag,
vielleicht haben Sie davon gehört: Ende September brach in einem Wald bei Haltern am See im Kreis Recklinghausen (NRW) eine Windkraftanlage zusammen. Etwa 20 Meter über dem Boden knickte die Anlage ab. Der Turm sackte in sich zusammen und die Flügel krachten in den umliegenden Wald. Das Windrad war erst ein halbes Jahr in Betrieb und zählte zu den größten Anlagen an Land in Deutschland.
Zwei Tage später schlugen knapp 80 Kilometer weiter Richtung Norden Flammen aus der Gondel einer Windkraftanlage in Neuenkirchen im Kreis Steinfurt. Brennende Teile stürzten auf den Mais unter der Anlage.
Und auch dem Sturm Ignatz fiel Ende Oktober ein Rotorblatt im baden-württembergischen Landkreis Heidenheim zum Opfer. Verletzt wurde in allen drei Fällen glücklicherweise niemand. Was die jeweiligen Unfälle verursachte, ist noch nicht abschließend geklärt.
Um es mal vorsichtig auszudrücken: Ein Akzeptanztreiber für Windkraft waren diese drei Vorfälle wohl eher nicht. Doch um die Akzeptanz soll es heute nicht vorrangig gehen. Heute geht es um die Frage, wie sicher Windkraftanlagen sind. Und darum, wer das eigentlich wie oft kontrolliert.
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Unfallerfassung im Blindflug
Die angehende Ampel-Koalition tritt bei Thema Windenergie aufs Tempo. 2% der Landesfläche sollen in jedem Bundesland für Windkraftanlagen ausgewiesen werden. So steht es zumindest im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP. Für NRW zum Beispiel würde das eine Aufholjagd bedeuten: Aktuell liegt der Flächenanteil dort bei etwa 0,9%.
Mehr Windkraftanlagen – das hieße aber auch: mehr Windräder in der Nähe von „Zivilisation“, also von Straßen, Siedlungen und Wanderwegen. Denn mit den derzeitigen Mindestabständen ist die Energiewende kaum zu schaffen. Besser also, die Dinger wären stabil.
Was sagt die Statistik? Der Bundesverband Wind-Energie erhebt seit 2005 intern Daten zu Schäden an Windrädern. Danach sind bundesweit sieben Fälle von „umgeknickten“ Anlagen bekannt – inklusive dem „Knick von Haltern am See“. Zur Einordnung: Insgesamt stehen in Deutschland knapp 30.000 Onshore-Windenergieanlagen – also Anlagen an Land. Zählt man auch Abstürze von Gondeln und Flügeln sowie Rotorblattabbrüche hinzu, ergibt sich eine Zahl von zusätzlich 29 Schadensereignissen. Hinzu kommen im selben Zeitraum (also 2005 bis 2021) 58 Brände an Windkraftanlagen – macht summa summarum 94 Schadensfälle. Der Bundesverband betont, keinen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Eine Erhebung von offizieller Stelle zum Thema Schäden an Windenergieanlagen gibt es nicht (darüber hat zum Beispiel die Wirtschaftswoche berichtet).
Genau diesen Punkt – das Fehlen einer offiziellen Statistik – kritisiert unter anderen der Dachverband der Technischen Überwachungsvereine, allgemein bekannt unter dem Kürzel TÜV. Dessen Geschäftsführer Dr. Joachim Bühler sagte uns: „Wir sind hier total im Blindflug. Wir wissen viel zu wenig über Unfälle, wir kennen nicht einmal die genaue Anzahl.“ Der TÜV spricht auf seiner Homepage von etwa 50 gravierenden Schäden an Windenergieanlagen pro Jahr, Bühler selbst will sich auf keine konkrete Zahl festlegen. Die Spannweite zwischen den Zahlen vom Bundesverband Wind-Energie und dem TÜV macht das Problem aber mehr als deutlich: 94 Schadensfälle in 16 Jahren sagen die einen, 50 pro Jahr die anderen. „Unfallstatistik bei Windkraftanlage ist eher eine Art Meinungsinterpretation“, sagt Bühler – und das bei einer Technik, die zu einer wesentlichen Säule der Energiewende werden soll.
Prüfung mit Einschränkungen
Trotzdem: Das Sicherheitsniveau bei Windkraftanlagen ist hoch. Das bestätigt auch der TÜV. Aber: Selbst, wenn wir von „nur“ 94 Schadensfällen in den vergangen 16 Jahren ausgehen, steht am Ende doch die Erkenntnis: Einzelfälle sind das nicht. Wie könnten die Anlagen also sicherer werden? Ihre Prüfung wäre schon mal ein Ansatzpunkt.
Bislang gilt grundsätzlich: Windräder sollen im laufenden Betrieb alle zwei Jahre von unabhängiger Stelle – also TÜV oder DEKRA – nach bundesweiten Richtwerten geprüft werden. Grundsätzlich. Denn wie so oft bestätigen Ausnahmen die Regel. In der Praxis kann das Prüfintervall auf vier Jahre ausgedehnt werden. Und zwar dann, wenn der Betreiber von sich aus einmal pro Jahr die Anlage wartet. Dazu vergeben die Anlagenbetreiber Wartungsverträge an die Hersteller. Kurzum: Drei Jahre lang haben die Unternehmen selbst ihre Anlagen im Blick. Erst dann ist eine unabhängige Prüfung fällig.
Extrawurst für Altanlagen
Doch es gibt noch eine zweite Einschränkung von „grundsätzlich“. Denn der zwei- bzw. vierjährige Prüfintervall, der ja an sich nicht richtig optimal scheint, gilt nur für Anlagen ab 2004. Für sogenannte Altanlagen, die vor 2004 gebaut wurden, sieht die seinerzeit gültige Richtlinie keine wiederkehrenden Prüfungen nach einheitlichen Kriterien von unabhängigen Stellen vor. Keine. Auch hier eine Zahl zur Einordnung: Wir sprechen von mindestens einem Drittel der On-Shore-Anlagen – also etwa 10.000 Stück.
Und was konkret gilt für die Anlagen der Baujahre vor 2004? Die Landkreise und kommunalen Bauämter haben seinerzeit den Anlagenbetreibern Auflagen zur Prüfung gemacht. Welche genau? „Das ist ein Flickenteppich, der nirgendwo zentral erfasst ist und sich von Landkreis zu Landkreis unterscheiden kann“, sagt TÜV-Geschäftsführer Bühler.
Teils forderten Landkreise auch für Altanlagen, dass eine unabhängige Prüfung durch TÜV oder DEKRA vorgenommen werden muss. Teils aber eben auch nicht. Und so kommt es in der Praxis vor, dass die Prüfung einiger Altanlagen tatsächlich ausschließlich durch die Wartungsfirmen der Hersteller selbst durchgeführt wird. Hinzu kommt: Es gibt für diese Altanlagen keine bundesweit einheitliche Regelung, wer überhaupt prüfen darf und wie unabhängig diese Instanz sein muss. Der TÜV-Verband spricht hier von einer großen Regelungslücke.
Mit einer Ausnahme: Wenn in den Altanlagen ein Aufzug verbaut ist, und das ist in den allermeisten Fällen so, ist der TÜV zumindest für die Prüfung des Aufzuges zuständig. Denn für die Aufzugprüfung gibt es gesetzlich vorgeschriebene Regelungen, die in der Betriebssicherheitsverordnung, schlank abgekürzt „BetrSichV“, festgeschrieben sind.
Abstände runter, Sicherheit rauf
Geht es nach dem TÜV-Verband, sollten auch Windkraftanlagen in die „BetrSichV“ aufgenommen werden. Und zwar alle. „Egal, wann die Anlage gebaut wurde, egal, wo sie steht: Wir brauchen einheitliche Regeln“, fordert Bühler. Dazu zählt für ihn ein einheitliches Erfassen der Unfälle genauso wie eine verbindliche unabhängige Prüfung, die alle zwei Jahre nach bundeseinheitlichen Vorgaben durchgeführt wird.
Relevant wird das aus zwei Gründen: Erstens gilt für Windkraftanlagen das, was auch für alle anderen Anlagen gilt: Je älter eine Anlage ist, desto größer wird das Risiko von Verschleiß oder Materialmüdigkeit. Gerade Altanlagen sollten daher unter besonderer Beobachtung stehen. Und besonders meint hier nicht „besonders wenig“. Zweitens werden auf längere Sicht Mindestabstände schrumpfen (müssen), um die Anzahl an Anlagen bauen zu können, die für die Energiewende benötigt werden. Für Bühler geht das nur mit höheren Sicherheitsstandards. Für ihn gilt die Devise:: „Abstände runter, Sicherheit rauf!“
Argumente auf dem Silbertablett
Um es klar zu sagen: Das hier ist kein Text gegen Windkraft. Aber bestehende Sicherheitsbedenken sollten ernst genommen und angepackt werden. Denn was als „Schadensfall“ in Statistiken so bürokratisch daherkommt, schürt Ängste: bei Menschen, die in der Nähe von Winkraftanlagen leben. In Orten, die über neue Standorte von Anlagen nachdenken. Also zuallermeist: auf dem Land, abseits der städtischen Siedlungen. Um wem ist das zu verdenken? Havarieren Windräder, ist das mehr als „nur“ ein spektakulärer Anblick. Es sind Bilder, die im Kopf bleiben und durch die Medien wandern. Und letztlich sind es auch Bilder, die Windkraftgegnern Argumente gegen Windkraft auf dem Silbertablett servieren.
Für die Energiewende brauchen wir aber vor allem eines: Akzeptanz. In den Städten, aber eben auch auf dem Land. Jeder abgebrochene Flügel, jeder Brand, jeder Einsturz ist einer zu viel. Sie merken als aufmerksamer Leser: Irgendwie ging es schlussendlich doch um die Akzeptanz.
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Zugabe
Grünkohl
Als geborene Norddeutsche und zugezogene Westfälin gehört Grünkohl für mich zum Winter wie Rolf Zuckowski oder der jährliche Versuch, endlich einmal die Wollsocken auch fertig zu stricken (dieses Mal, ganz sicher!). Ich habe also mit Begeisterung gelesen, dass Grünkohl ein Comeback feiert. Genauer gesagt: alte Grünkohlsorten. Denn die gab es fast nicht mehr. Die sogenannte „Lippische Palme“ war zum Beispiel nur noch in wenigen Privatgärten vorhanden. Das LWL-Freilichtmuseum Detmold sicherte in einer großangelegten Suchaktion das Saatgut der Pflanzen. Heute ist eine dieser Amateursorten der Lippischen Palme sogar beim Bundesortenamt registriert. Vermarktet wird die alte Sorte von einem Bio-Landwirt mit dem bezeichnenden Namen Jan Fleischfresser. Schauen Sie doch mal vorbei.
Ein gutes Rezept
Die passenden Zubereitungstipps liefert die Initiative „Westfälisch genießen“, einem Zusammenschluss von 26 Köchen aus Westfalen. Hier finden Sie ein Klassiker-Rezept für westfälischen Grünkohl. Übrigens: Grünkohl braucht nicht zwangsläufig Frost vor der Ernte. Viele der Bitterstoffe, die durch tiefe Temperaturen verschwinden, sind aus den Sorten herausgezüchtet. Schaden können ein paar Minustemperaturen aber nicht. Und wer frostmäßig auf Nummer sicher gehen will, legt das frische Gemüse einfach in die Tiefkühltruhe.
Tauschbörse für Weihnachtsschmuck
Von einer tollen Idee zum Nachmachen habe ich aus dem südniedersächsischen Göttingen-Adelebsen gehört. Dort haben die Landfrauen eine Tauschbörse für Weihnachtsschmuck organisiert. Alle waren eingeladen, ausgemusterten, aber noch intakten Weihnachtsbaumschmuck mitzubringen – und konnten im Gegenzug mitnehmen, was ihnen gefiel. Aus alt mach neu, weihnachtlich interpretiert: Eine super Sache! Sie könnte im nächsten Jahr auch andernortsumgesetzt werden. Und dann hoffentlich corona-frei.
Ich wünsche Ihnen einen schönen ersten Advent!
Marit Schröder
Für den Fall, dass Sie es im Windkraft-Flow überlesen haben: Leiten Sie diese Mail doch gerne an alle Landinteressierte weiter. Wir freuen uns immer über neue Leser:innen! Falls Sie den Landbrief noch nicht regelmäßig erhalten: Unter www.landbrief.de können Sie sich kostenfrei anmelden. Dann bekommen Sie den Landbrief immer mittwochs zugeschickt.
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